Design ist auch weiblich

Greta von Nessens Anywhere Lamp aus Aluminium und Edelstahl entstand 1951 und wurde in die Sammlung des MOMA New York aufgenommen. Foto: VDM Andreas Jung

Was Sie schon immer über Designerinnen wissen wollten, erfahren Sie in der Ausstellung des Vitra Design Museums, die noch bis 1. September im Wiener Möbelmuseum zu sehen ist. „Here We Are! Frauen im Design 1900 – heute“ erzählt, vor dem Hintergrund des Kampfs um Gleichberechtigung, eine neue, vielstimmige Designgeschichte, die zeigt, dass Frauen entscheidend zur Entwicklung des modernen Designs beigetragen haben.

Als Gestalterinnen von Möbeln, Mode oder Industrieprodukten, als Innenarchitektinnen oder Unternehmerinnen werden Frauen der letzten 120 Jahre vorgestellt, vor dem Hintergrund des Kampfs um Gleichberechtigung entfaltet sich eine neue, vielstimmige Designgeschichte.

Zu sehen sind Werke von rund 80 Designerinnen, unter ihnen befinden sich auch Protagonistinnen der Moderne wie Eileen Gray, Charlotte Perriand, Lilly Reich oder Clara Porset, Unternehmerinnen wie Florence Knoll und Armi Ratia oder weniger bekannte Frauen wie die Sozialreformerin Jane Addams. Auch zeitgenössische Positionen sind vertreten in Form der Objekte von zeitgenössischen Designerinnen wie Matali Crasset, Patricia Urquiola, Julia Lohmann oder das Kollektiv Matri-Archi(tecture).

Die Ausstellung erlaubt einen neuen, zeitgemäßen Blick auf die Geschichte moderner Gestaltung und aktuelle Debatten, sie liefert Denkanstöße für eine Definition des Design im 21. Jahrhundert und versucht zu zeigen, für wen es geschaffen wird.

Etwa die Hälfte der Designstudierenden ist heute weiblich. In vielen zukunftsweisenden Designbereichen sind Frauen federführend. Über eine Vielzahl hochkarätiger Exponate stehen das kreative Schaffen und die Arbeitsbedingungen von Frauen im Design von der frühen Moderne bis in die Gegenwart im Mittelpunkt der Schau: von den ikonischen Objekten einer Eileen Gray über bislang kaum bekannte Neuentdeckungen bis zu heutigen Aktivismus-Netzwerken und feministischer Designforschung. So entsteht eine Standortbestimmung zu einem gesellschaftlich hochaktuellen Thema, die das moderne Design in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Das Bauhaus-Bauspiel von Alma Siedhoff Buscher Foto: Naef Spiele Schweiz/Heiko Hillig

Die Entwicklung des Designs

Vier Bereiche führen durch die letzten 120 Jahre Designgeschichte. Gestartet wird mit der Entwicklung des Designs in Europa und den USA, wo um 1900 das Berufsbild des modernen Designs entstand – zur gleichen Zeit, als Frauen sich öffentlich für mehr politische Mitbestimmung engagierten. Diese damaligen Emanzipationsbestrebungen spiegelten sich auch im Design, etwa in der Arbeit der Sozialreformerinnen Jane Addams und Louise Brigham, die man heute unter den Begriff „Social Design“ sehen würde. das Das damals neue Berufsfeld der Innenarchitektur prägte hingegen die New Yorkerin Elsie de Wolfe. Auch die Werke von Gestalterinnen am Bauhaus, an den russischen WChUTEMAS (Höhere Künstlerisch-Technische Werkstätten) oder den Deutschen Werkstätten in Dresden-Hellerau sind Thema. Bislang weitgehend unentdeckt war die Ausbildung an der Schule Loheland, die wie das Bauhaus 1919 gegründet wurde, jedoch nur Frauen aufnahm. Am Bauhaus studierten Frauen und Männer zwar gemeinsam, Frauen waren allerdings meist nur bestimmten Disziplinen wie textiles oder keramisches Gestalten offen. In der aktuellen Ausstellung wird deutlich, dass sich Frauen in den Gestaltungsberufen aufgrund besserer Ausbildungsbedingungen zwar zunehmend professionalisierten, aber dennoch weiterhin oft traditionellen Rollenbilder zugeteilt wurden.

Die 1920er bis 1950er-Jahre

Ghost Stuhl, entworfen von Cini Boeri und Tomu Katayanagi und hergestellt von Fiam, Italien, 1980er Foto: VDM Jürgen Hans

Der zweite Teil widmet sich der Ära der 1920er- bis 1950er-Jahre, als Designerinnen wie Charlotte Perriand, Eileen Gray oder Clara Porset in der nach wie vor patriarchalischen Gesellschaft erste internationale Erfolge verbuchen konnten. In der Pariser Luxusindustrie prägte Jeanne Toussaint als Creative Director jahrzehntelang die Kreationen des Schmuckhauses Cartier und führte das so genannte „Département S“, dessen Produkte den Bedürfnissen der modernen Frauen der 1920er-Jahre entgegensprechen sollten. Schöpfungen, die ein fortschrittliches, selbstbewusstes Frauenbild repräsentierten. Einige der in der Ausstellung porträtierten Designerinnen arbeiteten eng mit ihrem Partner zusammen, etwa Ray Eames mit ihrem Mann Charles oder Aino Aalto mit Alvar Aalto, wenn auch Frauen dabei meist im Schatten ihrer Partner standen. Die Ausstellung zeigt, dass sie in vielen Fällen deutlich wichtigere Beiträge am gemeinsamen Werk leisteten als bislang bekannt. Charlotte Perriands Bedeutung als unabhängige Designerin etwa, wurde in den letzten Jahren weithin publiziert wurde, wodruch auch ihr Anteil an den legendären Möbelentwürfen, die sie mit ihrem berühmten Kollegen Le Corbusier entwickelte, eine neue Bewertung erfuhr. Weitere gezeigte Designerinnen arbeiteten hingegen zeitlebens unabhängig, wie die Keramikerin Eva Zeisel, der bereits 1946 eine Einzelausstellung im New Yorker Museum of Modern Art gewidmet war. Die Ausstellung zeigt auch, dass weitere Gestalterinnen wie etwa Trude Petri größere Beachtung verdienen,.

Die 1950er bis 1980er Jahre

Der dritte Abschnitt zeigt, dass sich insbesondere ab den 1960er-Jahren eine zweite Welle des Feminismus der konservativen Nachkriegsmentalität entgegenstellte. So zeigt etwa die schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) von 1958, dass man Frauen auch im Design häufig mit häuslichen Tätigkeiten assoziierte. Trotz dieser anhaltenden Einschränkungen schufen sie oft außerordentliche Werke. Die Rollenbilder und Möglichkeiten von Frauen im Design waren einer ständigen Veränderung unterworfen: Ambivalenz und Umbrüche dieser turbulenten Zeiten spiegeln sich in den poppigen Marimekko-Designs der 1970er-Jahre ebenso wie in den postmodernen, zum Teil spektakulären Objekten der italienischen Designerinnen Nanda Vigo, Gae Aulenti oder Cini Boeri. Auch das Schaffen der Designerin Galina Balaschowa, die viele der futuristischen Interieurs der Raumkapseln für das russische Raumfahrtprogramm gestaltete und deren bislang fast unbekanntes Werk seit einigen Jahren entdeckt wurde, ist in der Ausstellung präsent.

Die Gegenwart

Als letzter Abschnitt befasst sich die Ausstellung mit der Gegenwart und den Werken international etablierter Designerinnen wie Matali Crasset, Patricia Urquiola, Inga Sempé, Ilse Crawford oder Hella
Jongerius. Sie alle belegen, dass Frauen im Design heute ebenso international erfolgreich sind wie Männer. Manche Designerinnen sprengen die etablierten Grenzen ihrer Disziplin und tragen maßgeblich zu einer Neudefinition des Designs bei. Zu ihnen gehören etwa Julia Lohmann, die Meeresalgen als neues, nachhaltiges Material erforscht, ebenso wie Christien Meindertsma, die Produktionsprozesse durchleuchtet. Zugleich ist hier eine Auswahl aktueller Initiativen zu sehen, die veranschaulichen, wie der feministische Diskurs in Design und Architektur die Muster von Autorenschaft, Ausbildung und Anerkennung hinterfragt und mit Diversität und Intersektionalität verbindet. Das Kollektiv Matri-Archi(tecture) erzählt in der eigens für die Ausstellung geschaffenen Arbeit „Weaving Constellations of Identity“ von den persönlichen Erfahrungen afrikanischer und Schwarzer Designerinnen, während zahlreiche Netzwerke und Publikationen etablierte Narrative und Strukturen des Designs zur Diskussion stellen.

Der Ausstellung „Here We Are! Frauen im Design 1900 – heute“ gelingt es ebenso vielfältig zu sein, wie die Umbrüche und die Diskussionen zum Feminismus in unserer heutigen Gesellschaft. Sie erlaubt damit einen neuen, zeitgemäßen Blick auf die Geschichte moderner Gestaltung und liefert neue Denkanstöße zum Design im 21. Jahrhundert.

Bis 1. Septemner 2024
Möbelmuseum Wien Andreasgasse 7, 1070 Wien
www.moebelmuseumwien.at

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