Ein Experiment mit Zukunft

Living Places Kopenhagen ist ein von der Velux Group initiiertes visionäres Projekt zur Zukunft des Bauens. Dessen sieben prototypische Bauten in Kopenhagen besichtigt werden können. Foto: Velux/Adam Mork

Um die Zukunft des Bauens geht es in diesem visionären Projekt, das in Form von sieben prototypischen Bauten in Kopenhagen besichtigt werden kann. Living Places Kopenhagen, ein von der Velux Group initiiertes Projekt, umgesetzt in Gemeinschaft mit Effekt Architects aus Kopenhagen, Artelia Engineers und dem Bauunternehmen Enemærke & Petersen möchte zeigen, wie nachhaltige Gebäude der Zukunft entworfen und gebaut werden können. Und lädt zum Nachmachen ein.

„Gesund für die Menschen und für den Planeten“, das ist nur eine der grundlegenden Devisen, des 1965 durch Villum Kann Rasmussen gegründeten und auch heute noch familiengeführten dänischen Traditionsunternehmens. Velux ist aber nicht nur Pionier in der weltweit bekannten Herstellung von Dachflächenfenstern, denn das Unternehmen hat sich die Hilfestellung bei der zielführenden Tageslichtplanung ebenso zur Aufgabe gemacht, wie die Entwicklung nachhaltigen Bauens. Und das Engagement kann sich sehen lassen.

Living Places ist weit mehr als nur ein theoretisches Konzept, es ist die konkrete Umsetzung der Vision, wie nachhaltige Gebäude in Zukunft entworfen, gebaut und bewohnt werden können, unter Einsatz vorhandenen Wissens und recylierbarer Materialien und basiert auf den Ergebnissen einer umfassenden Analyse der Lebenszyklen. Foto: Velux/Adam Mork

Nachhaltig denken

Velux experimentiert seit Langem mit nachhaltigen Gebäudekonzepten, ganz nach der Überzeugung des Firmengründers: „Ein Experiment zählt mehr als 1.000 Expertenmeinungen“. In den letzten 20 Jahren realisierte man in mehr als 22 Ländern mit über 100 Partnern mehr als 30 Demonstrationsgebäude. In Österreich gehört hierzu etwa das 2010 als erstes CO2-neutrales Einfamilienhaus entstandene Sunlighthouse von Juri Troy, das bereits einen sehr guten Wert von 7,8 CO2eq-Emissionen/m2*a erreicht. Eine Weiterentwicklung der Erkenntnissen früherer Gebäudekonzepte und eigens neu ausgearbeitete Parameter flossen schließlich in das Projekt Living Places ein. Nach einer dreijährigen Projektentwicklungsphase liefert das fertig gestellte prototypische Musterhauskonzept für nachhaltiges Wohnen der Zukunft interessante Erkenntnisse.

Living Places ist weit mehr als nur eine theoretische Auseinandersetzung, es ist die konkrete Umsetzung der Vision, wie nachhaltige Gebäude in Zukunft entworfen, gebaut und bewohnt werden können, unter Einsatz vorhandenen Wissens sowie recyklierbarer Materialien und basiert auf den Ergebnissen einer umfassenden Analyse der Lebenszyklen.

Wie das entwickelte und erfolgreich umgesetzte experimentelle Projekt in der Realität aussieht und welche Atmosphäre die entstandenen Wohnhäuser ausstrahlen, davon kann man sich bei einem Besuch von Living Places Kopenhagen überzeugen: fünf offene Pavillons sowie zwei voll funktionsfähige und komplett ausgestattete Prototyp-Wohnhäuser bilden eine kleine Siedlungsstruktur. Das Farb- und Einrichtungskonzept setzt natürlich auf Nachhaltigkeit und auf ein stimmiges Zusammenspiel von Farbe, Material und Licht.

Effekt Architects entwickelten die charakteristische steile Dachform mit einer Neigung von 56 Grad als ideale Form für das rundum nachhaltige Haus, indem man der Frage nachging, wie eine zeitgemäße Revitalisierung des Schrägdachs aussehen könnte. Living Places ist die Antwort auf diese Frage. Foto: Velux/Adam Mork

Nachhaltig handeln

Die dänische Architektin Lone Feifer ist seit nunmehr 25 Jahren im Familienunternehmen Velux tätig. Heute leitet sie in der Velux Group den Bereich Nachhaltigkeit und verantwortete in dieser Funktion maßgeblich das Projekt Living Places, das zeigt, dass längst auch die Entwicklung nachhaltigen Bauens zur Dna des Unternehmens gehört.

„Das liegt wohl an der weitsichtigen Firmenphilosophie der Gründerfamilie, die nach wie vor Eigentümerin ist. Und die weit mehr erreichen möchte als nur in Profit zu denken oder sich auf die Vermarktung der Dachflächenfenster zu fokussieren“, merkt Lone Feifer an. „Innovationen im Sinne einer strategischen Vorgangsweise zur Umsetzung nachhaltiger Architektur anzustoßen ist das eigentliche Ziel, denn es geht um das Gebäude in seiner Gesamtheit. Und die Architekturabteilung von Velux, mit ihren Architekt:innen und Ingenieur:innen, befasst sich genau damit“, sagt sie.

Was war also der Auslöser dieses konkreten Vorhabens? „Das war wohl 2018, als in der Gründerfamilie die Frage auftauchte, warum denn eigentlich so selten Satteldächer gebaut würden? Man entschied kurzerhand, dem auf den Grund zu gehen und ein Konzept zu entwickeln, in dem das Schrägdach wieder mehr Berücksichtigung finden sollte“, erzählt sie weiter.

Effekt Architects entwarf die charakteristische steile Dachform mit einer Neigung von 56 Grad als ideale Form für das rundum nachhaltige Haus, indem man sich der Frage stellte, wie eine zeitgemäße Revitalisierung des Schrägdachs aussehen könnte. Living Places liefert die Antwort auf diese Frage.

Für ein gesundes Leben

„Die eigene Vision für nachhaltige Gebäude vergegenwärtigt auch das zukunftsträchtige Motto der Unternehmensphilosophie: „Build for life“. Weil Nachhaltigkeit unglaublich wichtig ist – trägt doch die Bauindustrie mit mehr als einem Drittel der weltweiten CO 2-Emissionen erheblich zur Klimakrise bei – begann man mit dem Kompass-Modell eine entsprechende Strategie zu formulieren und sieben grundlegende Begleitfaktoren zu bestimmen: Erschwinglichkeit, Flexibilität, Qualität, Umwelt, Lokalität, Gesundheit und Gemeinschaft“, erläutert Feifer.

Living Places ist entsprechend fünf Prinzipien konzipiert: „gesund“ für die Menschen und den Planeten, „gemeinschaftlich“, wegen der offenen Nutzbarkeit bestimmter Bereiche, „einfach“, denn die Gebäude können rückgebaut und eingesetzte Materialien wieder verwendet werden, „anpassungsfähig“ an unterschiedlichste Wohnbedürfnisse durch diverse Wohnungstypologien und „erweiterbar“ vom Einfamilienhaus bis zum Geschoßwohnbau, um die Leistbarkeit sicherzustellen.

Es wurde der Prototyp eines Einfamilienhauses entwickelt, das so konzipiert ist, dass es auf unterschiedliche Typologien angewendet werden kann: 1,5 bis 5 Geschoße hoch, ausgehend vom Einfamilienhaus über das Doppelhaus, Reihenhaus, L-Block bis zur Blockbebauung als Systemlösung. „Vorerst handelt es sich um ein Konzept, in dem die kleinste Einheit 50m2 groß ist, aber bis zum Mehrfamilienwohnbau erweitert werden kann“, erklärt Lone Feifer. „Wir haben nicht nur die Berechnung der CO2eq-Emissionen/m2*a herangezogen, sondern versucht, uns auf die Bewohner:innen zu beziehen und haben errechnet, dass auf einer Bruttowohnfläche von 110m2 5 Personen wohnen können oder 4 Personen auf 90m2“.

Neben dem experimentellen Charakter, das Schrägdach neu zu denken, stehen vor allem Aspekte der Nachhaltigkeit im Vordergrund, ebenso wie die Möglichkeit der Recyklierbarkeit.
„Hier ging es nicht nur um die möglichst ökologische Bauform, sondern auch darum, das beste Raumklima mit Luftwechsel und Wärmeerzeugung zu schaffen und das Gesamtprojekt auch 1:1 erlebbar zu machen“, sagt Feifer.

Der Fußabdruck wird bindend

2023 wurde in Dänemark ein maximaler CO2-Fußabdruck in der Bauordnung verankert, dessen Wert ist nunmehr bindend und steht für einen herkömmlichen Bau – das „Benchmark Haus“ – bei 11,1KgCO2eq-Emissionen/m2*a. Living Places liegt mit 3,8KgCO2eq-Emissionen/m2*a weit unter den gesetzlichen Vorgaben und zeigt mit dem aktuell niedrigsten Wert in Dänemark, was möglich ist.

Laut GWP (Global Warming Potential) Bewertungstool konnten mit den Konstruktionsformen Brettsperrholzbau (CLT) und Holzrahmenbau, die man für die beiden Living Places-Musterwohnhäuser wählte, die Werte des Benchmark Hauses weit unterboten werden. Der Brettsperrholzbau entspricht einem Wert von 3,9kg CO2eq-Emissionen/m2*a, der Holzrahmenbau erreicht 3,8 CO2eq-Emissionen/m2*a, selbst bei unterschiedlichsten Fassadenlösungen, von unbehandeltem oder hitzebehandeltem Holz, Stahlblech, Keramik, Schiefer, Faserzement, Putz und weiteren. Die Wahl jedes eingesetzten Bauteils erfolgte nach einer Abwägung der Kriterien Preis, Raumklima und CO2-Fußabdruck unter dem Aspekt, möglichst viel CO2 einzusparen.

Im Mittelpunkt steht hier die gesunde Architektur für Mensch und Umwelt. Eben das widerspiegelt sich auch in der Qualität des Innenraums, in den eingesetzten natürlichen Materialien, den an der Oberfläche geführten Leitungen und Rohren, der hohen Luftqualität, in Akustik, Komfort und der möglichen kompletten Demontierbarkeit des Gebäudes am Ende seines Lebenszyklus. Auch das Tageslicht spielt hier eine Hauptrolle: die Verantwortung für unsere Umwelt und Verbundenheit mit dem Planeten wird auch durch den Ausblick auf Himmel und Wolken sowie durch den an den Innenwänden wahrnehmbaren Sonnenverlauf noch ein wenig bewusster gemacht.

„Wir fanden es wichtig, diese Dorftypologie anzulegen, um zu vermitteln, dass Häuser keine Einzelbauten sondern stets Teil einer größeren Umgebung und Teil einer Gemeinschaft sind“, sagt Architekt Sinus Lynge. Foto: Velux/Adam Mork

Eine Siedlung mit Vorbildwirkung

Living Places umfasst insgesamt 7 Prototypen – zwei davon sind komplett funktionstüchtige Wohnbauten. Der temporär für zwei Jahre (2023-2024) nutzbare Bauplatz liegt mitten in Kopenhagen auf einem zirka 2.000 m2 großem Pachtgrund, einem ehemaligen, stillgelegten Eisenbahnareal. Das Wohnhaus aus Brettsperrholz (CLT) erhielt eine Hybridlüftung und Holz-Alu-Fenster und das Haus in Holzrahmenbau unterscheidet sich durch Holzfenster und eine natürliche Belüftung. Die fünf weiteren, in ihrer Silhouette den Wohnhäusern gleichartigen Bauten, dienen diversen Funktionen: Betriebsraum, Fahrradgarage und Werkstatt, die Nutzung für Veranstaltungen, das „Housing Lab“ mit einer Ausstellung über die eingesetzten Materialien, ein Gewächshaus, das auch Meetings und Veranstaltungen dient sowie ein Informationspavillon zum Thema Future Living. Die etwas erhöhte Holzterrasse, die alle Bauten umgibt, wird zum öffentlichen Bereich und zur Infrastruktur. Hier gibt es ausserdem Hochbeete für Zier- und Nutzpflanzen und Biotope, die ebenfalls der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.

„Wir fanden es wichtig, diese Dorftypologie anzulegen, um zu vermitteln, dass Häuser keine Einzelbauten sondern stets Teil einer größeren Umgebung und Teil einer Gemeinschaft sind. Von der Küche aus, die mit den anderen Wohnbereichen offen verbunden ist, kann man bis in das erste Geschoß hinaufblicken. Das hohe Dach ermöglicht auch, dass Tageslicht als direktes Sonnenlicht bis tief in das Haus hineinreicht. Im Sommer, wenn sich das Haus aufheizt, steigt die Wärme nach oben und es entsteht eine Kaminwirkung: Wenn das oberste Fenster geöffnet wird, tritt auf natürliche Weise frische Luft ein und die warme Luft kann entweichen. Wir arbeiten mit der Natur auf einfachste Weise und schaffen gleichzeitig eine visuelle Verbindung von innen nach außen,“ erläutert Sinus Lynge, einer der Gründer von Effekt Architects aus Kopenhagen.

Für die Errichtung war nicht nur die Herkunft des Holzes wichtig, auch die Emissionen von Produktion und Transport wurden berücksichtigt. Das Dogma, das man verfolgte: Alles musste für die Demontage geeignet und gestaltet sein. Die Gebäude können zur Gänze in ihre Einzelteile zerlegt und diese auch neu wieder zusammengefügt werden. Aber auch die eingesetzten Materialien sind nach dem Lebensende der Bauten wiederverwendbar. Selbst die konstruktiven Verbindungen der Möbeleinbauten wurden so gesetzt, dass sie leicht demontierbar sind. Nichts ist hier als dauerhaft anzusehen. „Genauso sollten wir Gebäude generell betrachten lernen, als nichts Permanentes. Eben das sollte die Art und Weise, wie wir die Gebäude der Zukunft entwerfen müssen, bestimmen, damit sie entweder als Materialbanken dienen können und als CO2-Speicher, in dem der Kohlenstoff für die Lebensdauer des Gebäudes gespeichert wird“, so Lynge.

Erfolgreich im Team

Lone Feifer arbeitet mit Architekt:innen und Ingenieur:innen bereits an einer weiteren Schärfung des Konzepts. „Ich glaube tatsächlich, der Erfolg eines solchen theoretischen und gleichzeitig konkreten, praxisorientierten Unterfangens liegt nicht notwendigerweise am besten Computer oder am meisten Geld, über das man verfügt. Denn um wirklich voranzukommen und schließlich zu reüssieren, braucht es einfach eine gute – auch interdisziplinäre – Zusammenarbeit. Und genau das ist bei uns der Fall. Wir sind ein perfektes Team, und ergänzen einander mit unseren unterschiedlichen Expertisen“, unterstreicht sie. „Und wir machen weiter. Mittlerweile – so viel kann ich verraten – haben wir in unseren Planungen bereits einen Wert von 3Kg CO2eq-Emissionen/m2*a erreicht und versuchen, dieses Ergebnis demnächst auch baulich umzusetzen“.

Bereits 2023 waren fast 9.000 Architekt:innen und Ingenieur:innen zu Besuch in Kopenhagen, um Living Places  zu besichtigen. Ein direktes Erleben lohnt sich allemal – dennoch ist auch ein virtueller Besuch des Geländes möglich und durchaus empfehlenswert.
Höchste Zeit, unsere Wohnbedürfnisse und -wünsche an die sich rapide verändernden Umweltbedingungen anzupassen – einen Schritt zurück und damit gleichzeitig nach vorne zu wagen, in eine bewusstere Wahrnehmung, gemeinsam, für die Menschen und den Planeten. Das funktionstüchtige, nicht nur formal gelungene und stimmige Konzept Living Places Kopenhagen sollte uns zumindest schon mal die Augen öffnen, wie der Zukunft begegnet werden kann und ist eine dringliche Einladung zum Nachmachen.

https://buildforlive.velux.com

Open House bei Living Places in Kopenhagen: am 26. Juni 2024 oder Anmeldung zu Führungen unter:
https://buildforlife.velux.com/en/livingplaces/the-experiment

https://buildforlife.velux.com/de/livingplaces/virtual-tours

Zum Nachsehen und -hören:
Turn On Architektufestival 2024: Lone Feifer, Director for Sustainable Buildings in the Velux Group spricht über Living Places Kopenhagen: https://youtu.be/Q9O9phVMMyA?si=m6KAJAtfovW6ps9-


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