Kiesler Preis für einen kompromisslosen Poeten

Junya Ishigami: Art Biotop Water Garden (Tochigi/Japan, 2018), Ein Wald wurde umgesiedelt und vor der Zerstörung bewahrt, so dass ein Ort von surrealer Schönheit entstanden ist, in dem man sich entspannen und verlieren kann. Foto: nikissimo Inc.

Der 13. Friedrich Kiesler Preis für Architektur und Kunst geht an den japanischen Architekten Junya Ishigami. Am 17. Juni fand die feierliche Preisverleihung in der Otto Wagner Postsparkasse durch Theresia Niedermüller, Sektionschefin im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, statt.

Meister der Leere

„Mit seinen spektakulären Raumkonzepten hebelt Junya Ishigami nicht nur architektonische Konventionen aus, sondern schafft mit ihnen darüber hinaus multifunktionale öffentliche Plätze, welche komplett neue Erfahrungshorizonte für Begegnungen und soziale Interaktionen eröffnen – wie zum Beispiel mit der architektonisch kreierten Landschaft der Plaza des Kanagawa Institute of Technology. Junya Ishigami ist ein ‚Meister der Leere‘, dem es gelungen ist, sich mit seinen radikalen Arbeiten von allen Stilen und Erwartungen zu lösen und im planerischen Denken völlig frei zu sein – eine Herangehensweise, welche dem einzigartigen schöpferischen Esprit Friedrich Kieslers sehr nahesteht“, konstatiert Theresia Niedermüller, Sektionschefin im Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport.

Für Ishigami eröffnet die Architektur unendliche Möglichkeiten in allen Lebensbereichen und in den Fragen des Seins. Er sieht darin auch die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen ebenso wie künstlerischen Betrachtung. Seine architektonischen Projekte sind vorwiegend inmitten der Natur umgesetzt, im Mittelpunkt steht dabei eine Neuinterpretation der Grenze zwischen Landschaft und Architektur. Sein konzeptionelles Denken fokussiert die Verflechtung von Architektur mit dem „Natürlichen“, ebenso wie die Ausweitung vorhandener Grenzen zwischen Design, Architektur und Umwelt. Seine visionären Entwürfe konzentrieren sich auf die Suche nach ganzheitlichen, nach organischen Prinzipien ausgerichteten Aspekten, auf Transparenz und Einfachheit. Junya Ishigami sei ein herausragender Visionär der zeitgenössischen internationalen Architekturszene. Mit seinen Grenzen überschreitenden und mit Konventionen brechenden Entwürfen, in denen die Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung sowie des Menschengemachten zur Natur stets im Fokus stehe, sei er ein wahrer Seelenverwandter Friedrich Kieslers, meinte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer.

Diese Anerkennung inspiriert mich, auch weiterhin die Grenzen von Architektur in meinem Streben nach herausragender Qualität zu überschreiten.

Junya Ishigami
(von links nach rechts:) Kjetil Trædal Thorsen, Theresia Niedermüller, Junya Ishigami, Ryuta Mizuuchi, Elke Delugan-Meissl, und Gerd Zillner, Österreichischer Friedrich Kiesler Preis für Architektur und Kunst, Foto: Michel Nagl © 2024 Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung, Wien

Kompromisslos visionär

Die Jury würdigte Ishigamis kompromissloses und herausragendes Werk ebenso wie seine Fähigkeit zu inspirieren, indem er eine visionäre und poetische Alternative zum wirtschaftlich orientierten Pragmatismus der heutigen Mainstream-Architektur darstellt. Er überschreite und erweitere die traditionellen Genres und füge der Disziplin der Architektur eine radikale neue Perspektive hinzu.

Die hochkarätig besetzte Jury des Friedrich Kiesler-Preises 2024 – Leonor Antunes (Künstlerin, Berlin), Céline Condorelli (Künstlerin, London/Mailand), Harald Gründl (Designer, Wien), Anupama Kundoo (Architektin, Berlin) sowie dem Vorsitzenden Kjetil Thorsen (Architekt, Oslo) – begründeten ihre Entscheidung wie folgt:
„Junya Ishigami zeichnet sich in der gegenwärtigen Architekturpraxis durch seine inspirierende und einzigartige Herangehensweise an die Gestaltung der gebauten Umwelt aus, indem er mit seinen außergewöhnlichen Projekten die Grenzen der traditionellen Disziplinen überschreitet, überwindet er jene Einschränkungen, die durch die Bauindustrie vorgegeben werden. Damit weist er starke Parallelen zu Friedrich Kieslers experimenteller und innovativer Haltung auf.“

Die Jury hob weiters hervor, dass Ishigamis „Free Space“-Philosophie, die eine Harmonie anstrebt zwischen den vom Menschen geschaffenen Strukturen und jenen, die bereits in der Natur vorhanden sind, mit Kieslers Auffassung korreliere, dass „[d]er neue Gestalter die Methoden, mit denen die Natur baut, verstehen lernen wird … aber er wird ihre Methoden nicht nachahmen“ (On Correalism and Biotechnique, 1939).

So betont die Jury weiter: „Ishigami, der für Entwürfe mit traumartigen Qualitäten bekannt ist, welche häufig natürliche Elemente wie Höhlen, Pflanzen oder sogar ganze Wälder mit einbeziehen, stellt den Menschen als Teil dieser Natur in den Mittelpunkt. Er steht damit in Einklang mit Kieslers ganzheitlicher Theorie des ‚Korrealismus‘, die die Dynamik der ständigen Interaktion zwischen dem Menschen und seiner natürlichen und technologischen Umgebung widerspiegelt“.

Ishigamis „kompromissloses und herausragendes Werk und seine Fähigkeit zu inspirieren, indem er eine visionäre und poetische Alternative zum wirtschaftlich orientierten Pragmatismus der heutigen Mainstream-Architektur darstellt. Er überschreitet und erweitert die traditionellen Genres und fügt der Disziplin der Architektur eine radikale neue Perspektive hinzu“, wurde von den Juroren besonders gewürdigt.

Junya Ishigami strebt eine Harmonie an zwischen den vom Menschen geschaffenen Strukturen und jenen, die bereits in der Natur vorhanden sind. Cultural Center, Shandong/China, 2016-, Foto: Iwan Baan

Neue Maßstäbe für die Zukunft

Die Präsidentin der Friedrich Kielser Stiftung Elke Delugan-Maissl sieht in Junya Ishigami einen der interessantesten Architekten der jüngeren Generation. „Sowohl seine unnachgiebige Haltung als auch sein visionäres Werk machen ihn zum perfekten Kiesler- Preisträger. Seine poetisch-skulpturalen Gebäudeentwürfe bewegen sich stets an der Schnittstelle zu Architektur, Kunst und sozialem Design und heben die Disziplin auf eine neue Ebene. Während die Bauindustrie die Hoheit darüber übernommen hat, wie Architektur auszusehen hat, mit einem Fokus auf kommerzielle Aspekte, geht Ishigami seinen eigenen kompromisslosen Weg und realisiert seine visionären Projekte. Jedes seiner idiosynkratischen Projekte ist in seiner Ästhetik einzigartig und referiert auf die individuellen Gegebenheiten sowie Problemstellungen unserer Zeit. Damit erweitert und überschreitet er kontinuierlich die Grenzen seiner Profession und setzt neue Maßstäbe für die Zukunft.

Den Kontext für seine Architekturprojekte findet Ishigami vorzugsweise in der Natur – in Landschaften, Wolken, Wäldern – es gelingt ihm so die Grenze zwischen Außenwelt und Innenraum aufzuheben. Ishigamis Projekte verschmelzen mit der Umgebung zu einer Einheit, die Traumwelt wird zu einem integralen Element seiner Werke.

Die Kiesler Stiftung in Wien zeigt bis 11. Oktober 2024 die Ausstellung „Junya Ishigami“.
Gezeigt werden anhand von Modellen, Fotografien und Videos zwei Projekte von junya.ishigami+associates: das House and Restaurant (2022, Ube/JPN) und das Zaishui Art Museum (2024, Rizhao/CHN). Kuratiert wurde die Ausstellung von Anna Fliri.

Junya Ishigami (1974 in der Präfektur Kanagawa geboren) ist eines der herausragendsten Talente der internationalen Architekturszene. Nach mehreren Jahren im Büro der Pritzker-Preisträgerin Kazuyo Sejima/SANAA, gründete er 2004 sein eigenes Atelier junya.ishigami+associates. Seine einzigartige und unkonventionelle Herangehensweise an Planungsaufgaben brachte ihm rasche Anerkennung und zahlreiche Preise. So erhielt er etwa 2009 als jüngster Preisträger den Architectural Institute of Japan Prize. 2010 folgte der Goldene Löwe der Architekturbiennale Venedig sowie der Global Award for Sustainable Architecture, 2016 folgt der Swiss Architectural Award und 2019 erhält der neu ins Leben gerufene Obel Award. Ishigami lehrt seit 2010 an der Tohoku University in Japan und wurde 2014 Kenzo Tange Design Critic an der Harvard Graduate School of Design (USA).
Zu Ishigamis Großprojekten gehören u.a. KAIT Workshop für das Kanagawa Institute of Technology (Atsugi/Japan, 2008), House of Peace in Kopenhagen (Dänemark, 2014), Chapel of the Valley in Shandong (China, 2016), Art Biotop Water Garden (Tochigi/Japan, 2018) und sein Pavillon für die Serpentine Gallery (London/England, 2019).
http://jnyi.jp/

Der Österreichische Friedrich Kiesler-Preis für Architektur und Kunst ist einer der höchstdotierten internationalen Preise auf diesem Gebiet. Dieses Jahr wurde er bereits zum 13. Mal ausgelobt.
Mit 55.000 Euro dotiert dient der Würdigungspreis als Anerkennung der zukunftsweisenden Arbeit des 1890 in Czernowitz geborenen und 1926 in die USA ausgewanderten Künstlers, Designers, Bühnenbildners und Architekten Friedrich Kiesler (1890–1965). Ausgezeichnet werden „hervorragende Leistungen im Bereich der Architektur und der Künste, die den experimentellen und innovativen Auffassungen Friedrich Kieslers und seiner Theorie der correlated arts entsprechen, die grenzüberschreitend die Disziplinen der Architektur und Künste verbinden.“ (Auszug aus den Statuten zum Friedrich Kiesler-Preis)
www.kiesler.org

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