Roberto Sironi, der leidenschaftliche Zeitreisende

Roberto Sironi Foto: Federico Villa

Betrachtet man Roberto Sironis vielfältige Schöpfungen analytisch, wird rasch klar, dass die Definition des „Designers“ für ihn viel zu eng gefasst ist. Denn Sironi schafft Gebrauchsgegenstände mit besonderem ästhetischen Wert. Seine Arbeitsweise kennzeichnet eine akribische historisch-archäologische Recherche über die verwendeten Materialien bis zum komplexen methodischen Experimentieren, um schließlich einzigartige und somit unverwechselbare Objekte hervorzubringen.
Hierzu gehört auch das Forschungsprojekt „Colour Archaeology“, eine 12-teilige Farbpalette, die Sironi in einer experimentellen, interdisziplinären Zeitreise als ersten Auftrag dieser Art zum Thema Farbe für Laufen entwickelte. Das Ergebnis wurde im Rahmen der Milano Design Week im Showroom des Schweizer Badspezialisten vorgestellt. Roberto Sironis angewandte Farbforschung zwischen Geschichte, Kunst und Archäologie verhilft der Sanitärkeramik zur wahren Sichtbarkeit. Und mehr als das. Wir wollten vom Designer hierzu mehr erfahren und trafen ihn zum Gespräch.

Sironis Designpraxis leitet ein forschungs- und prozessorientierter Ansatz. Bei seiner Objektserie Aphanes (im Bild) respektiert er den ursprünglichen Entstehungsprozess des verwendeten Marmors und geht davon aus, dass die komplexen sichtbaren Muster eine visuelle Dokumentation der Geschichte der Erde selbst sind. Foto:George Sfakianakis

Roberto, vorweg eine Frage nach Deiner Ausbildung, die wahrscheinlich mehrere Disziplinen umfasst?
Ich habe am Politecnico di Milano Industrial Design studiert, habe mich aber gleich nach dem Studienabschluss auf eine künstlerische Herangehensweise an Projekte verlagert, die ich insbesondere während meiner Tätigkeit in der Gießerei Fonderia Artistica Battaglia entwickelte, wo ich auch begann, mit Bronzeguss zu arbeiten. Darüber hinaus sind Archäologie und Anthropologie meine große Leidenschaft, Disziplinen, die ich zusätzlich studiert habe.

In Deiner jüngsten Firschungsarbeit „Colour Archaeology“ im Auftrag von Laufen, schaffst Du mithilfe einer präzisen Farbstrategie eine Verbindung zwischen „antiken Epochen“ und aktuellem Zeitgeschmack. Wieso hast Du diesem methodischen Weg gewählt?
Ich fand es interessant, die Entwicklung einer neuen Farbpalette mit der Geschichte der Farbe in der Keramik zu verbinden. Für mich war es selbstverständlich, mir anzusehen, was im Laufe der Geschichte aus diesem Material gemacht wurde, das, praktisch von Menschenhand geschaffen, produktionstechnisch eine unendliche Farbvielfalt eröffnet.

Ich glaube fest an die Multidisziplinarität, bei der Design Wissen aus anderen Disziplinen aufnehmen und integrieren kann.n diese integriert.

Roberto Siron

Deine Farbpalette trägt Namen, die auf ferne exotische Bezüge anspielen. Faszinierende Bezeichnungen wie Jade Green, Egyptian Cerulean, Babylonian Sand, Celadon Green, Kashan Blue und Ähnliches. Bezieht sich deren Bedeutung auf bestimmte archaische Kontexte oder entspringt sie einfach nur Deiner Fantasie?
Jede dieser Farben nimmt Bezug auf eine historisch-kulturelle chromatische Referenz. Babylonian Sand zum Beispiel ist ein Sandton, der an Artefakte aus babylonischer Zeit erinnert, die sich durch die Farbgebung der Tonerden aus dem Tigris- und Euphrat-Becken auszeichnen. Kashan-Blue wiederum ist ein Blauton, der in alten persischen Keramiken aus Kashan im Iran vorkommt.

Ich würde gerne Adolf Loos heranziehen, der meinte, dass es bei Artefakten darum gehe, die Schönheit allein in der Form zu suchen und nicht vom Ornament abhängig zu machen. Bezogen auf die Laufen-Keramik, wo positionierst Du deren farbliche Gestaltung, unter dem Aspekt der Form oder des Ornaments? Und weshalb?
Aus meiner Sicht ist Farbe nicht unbedingt an die Form gebunden, sondern funktioniert als eigenständiges Element, das sich in diese integriert. Auf Laufen übertragen, ermöglicht Farbe eine neue Interpretation der Produkte und generiert neue Bedeutungen. Übrigens bin ich mit den Theorien von Adolf Loos nicht einverstanden, denn Ornament kann für mich tatsächlich Form sein.

Bereits seit Längerem kann man in Deinen Arbeiten erkennen, dass Du immer wieder zur kreativen Inspiration Stilmerkmale entfernter Epochen erforschst. Gibt es, abgesehen vom äußeren Erscheinungsbild Deiner Objekte, die tendenziell durch ihre ausgesprochen künstlerische Anmutung hervorstechen, in Deiner Arbeitsweise einen kleinsten gemeinsamen Nenner oder eine ideale Vorgangsweise, die Deine unterschiedlichen Projekte eint?
Die Geschichte ist eine reiche Inspirationsquelle und sie umfasst Jahrtausende künstlerischer Erfahrungen, Materialien und Prozesse, die es verdienen, eingehend erforscht und verstanden zu werden. Ich stelle mir Archäologie gerne als längst vergessenes, zu Grabe getragenes Design vor: Mein Ansatz liegt in einer Interaktion mit der Vergangenheit, um einen Dialog zu entwickeln und so eine ideale Brücke zwischen der antiken und der zeitgenössischen Welt zu schaffen.

Hast Du eine Definition für jenes „Phänomen“, das auf einer engen Beziehung von Design und Kunst beruht und mit dem Du dich offensichtlich beschäftigst?
Eine sicher gültige Definition ist „Sammlerstück“, auch wenn mich diese nicht ganz überzeugt, weil sie vor allem den Aspekt des Sammelns hervorhebt: Für mich hat Design eine umfassendere Bedeutung und diese Definition ist etwas zu einschränkend.
Ich glaube fest an die Multidisziplinarität, bei der Design Wissen aus anderen Disziplinen aufnehmen und integrieren kann. Vielleicht ist es dieses einzigartige Merkmal, das Design so unverwechselbar und besonders macht.

Kunst und Gesellschaft. Wir sehen uns zunehmend mit einer Vielzahl von Ansätzen konfrontiert, die zeigt, wie komplex Design definiert werden kann. Wie interpretierst Du diese vielschichtige Sehnsucht nach einer allgegenwärtigen ästhetischen Recherche?
Meiner Ansicht nach ist Ästhetik nur eine Facette, die mit dem Projekt in Zusammenhang steht. In meinem Ansatz priorisiere ich immer Recherche und „Storytelling“, die Erzählung vor der Ästhetik. Ästhetik steht für mich stets im Dienst dessen, was ich ausdrücken und vermitteln möchte; sie ist ein Mittel zum Zweck.

Die Ausstellung Colour Archaeology wurde kuratiert von Roberto Sironi mit Beda Achermann und Matteo Fiorini/Studio Lys.
Das Projekt Colour Archaeology ist als Wanderinstallation konzipiert und wird nach der Mailänder Designweek in weiteren Laufen Spaces in Wien, Berlin, Madrid und Prag zu sehen sein.
www.laufen.com

Roberto Sironi
Der italienische Designer (*1983) lebt und arbeitet in Mailand. Seine Designpraxis leitet ein forschungs- und prozessorientierter Ansatz, bei dem Denken und Gestaltung in der Schaffung von Artefakten zusammenfließen. Als narrative Werkzeuge betrachtet, sollen diese einen Dialog mit dem Benutzer in Gang setzen. Die Artefakte sind das Ergebnis eines Prozesses, in dem die behandelten Themen aus historischer, geografischer und anthropologischer Sicht analysiert werden. Sironis Arbeiten sind als zeitgenössische Meta-Symbole konzipiert, bei denen Transformationsprozesse die Materie neu charakterisieren, ihre unsichtbaren Qualitäten enthüllen und ihr neue Eigenschaften verleihen. Das 2015 gegründete Studio ist in den Bereichen Produkt- und Installationsdesign, strategische Forschung und Designberatung tätig und kooperiert mit Institutionen, Galerien sowie mit Unternehmen.
www.robertosironi.it

Die mobile Version verlassen