Zu vergessen

Mit der Pflanzung eines Anerkennungsbaums und einer Gedenktafel will die Stadt Wien seit 2006 den Beitrag von Migrantinnen und Migranten an einer funktionierenden Gesellschaft in Österreich würdigen. Foto: Christine Müller

Ort des Geschehens: Die Wiener Ringstraße, genauer der Parkring vis à vis des Stadtparks auf Höhe des Wiener Kursalons Hübner. Für den Vorbeigehenden leicht übersehbar hat man auf der dem Verkehr zugewandten Grasfläche eine steinerne Bodenplatte platziert. Eine darauf fixierte Metalltafel trägt die Inschrift: „Anerkennungsbaum. Migrantinnen leisten in Österreich einen wertvollen und unverzichtbaren Beitrag zu einer funktionierenden Gesellschaft. Dieser Baum steht als Symbol für die Anerkennung dieser Leistungen.“  Als für die Errichtung zuständig unterzeichnet von der Wiener Integrationskonferenz – Vernetzungsbüro. 

Ein durchaus nobler Gedanke: einen Baum zu pflanzen, in symbolischer Anerkennung der Leistungen zahlreicher Migrantinnen und Migranten für unsere Gesellschaft. Ein „Anerkennungsbaum“, der mit seinem Wachstum auch die steigende Zahl und wachsende Bedeutung der Migrantinnen und Migranten in unserem Land versinnbildlicht. Ein Baum, der durch seine Verwurzelung mit dem Boden einen Bezug zu jenen Personen herstellt, die ihre Heimat verlassen haben und in unserem Land ihre neue Heimat sehen, die hier ihre neuen Wurzeln schlagen.

Allein der Ort und die Art der Präsentation ist alles andere als überzeugend. Eingelassen in die erdige Rasenfläche wird die Lesbarkeit durch starke Verunreinigung eingeschränkt. Und die straßenseitige Positionierung scheint förmlich danach zu rufen, auf keinen Fall gesehen zu werden. Rechts neben der Tafel steht ein sehr zarter Baum, der wohl im Herbst 2006 gepflanzt wurde, wie uns weitere Zeilen wissen lassen: „Gepflanzt von Stadträtin Mag. Sonja Wehsely und dem Obmann des WIK Mag. Alexis Nshimyimana Neuberg, am 25. Oktober 2006“. *)

Verschenkte Chance: Eine ehrliche symbolische Geste gegen Ressentiments in Sachen Migration und Fremdenhass hätte ein gut sichtbares Zeichen gebraucht. Sie wird zur reinen Alibiaktion und schafft es, Ressentiments sogar zu befeuern. Foto: Christine Müller

Warum an dieser unscheinbaren und fast unsichtbaren Stelle eine Plakette installiert wurde, die durchaus große Aufmerksamkeit verdienen würde, bleibt ein Rätsel. Was aber noch mehr verwundert und letztlich verstört ist die folgende abschließende in Klammer gesetzte und etwas abgerückt vermerkte Notiz: (Hier stand bis Ende August 2005 der letzte überlebende Baum der Erstbepflanzung der Ringstraße von ca. 1860)

Eine bedeutungsvollere zum Beispiel visuelle Erinnerung hätte jedenfalls auch der letzte Zeitzeuge aus der Entstehungszeit der Wiener Ringstraße redlich verdient – und hätte uns bewusst gemacht, welche Dimensionen hundertjährige Bäume zu erreichen vermögen.

Für die Erstbepflanzung entlang der Wiener Ringstraße hatte man einst den Götterbaum (Ailanthus altissima) gewählt. Ursprünglich aus China und Korea stammend, war er erst um 1850 nach Österreich gelangt. Wenn man so will ist also auch der Götterbaum ein Zuwanderer. Ob diese symbolische Qualität 2006 seine Wahl als Anerkennungsbaum beeinflusst haben mag?

Wenn wir uns schon gegen alle Ressentiments in Sachen Migration und Fremdenhass engagieren und eine wohlverdiente, wichtige Würdigung der in unserem Land engagierten und integrierten Migrantinnen und Migranten vornehmen wollen, dann hätte diese ein gut sichtbares Zeichen gebraucht. Hingegen versteckt man dies förmlich in der grünen Wiese – es ist zwar da, aber doch fast unsichtbar – eine verschenkte Chance, in den Köpfen der Menschen etwas zu bewegen. Auch angesichts der fortschreitenden Klimawende wäre die Sichtbarmachung eines historischen Baumes (über den man gerne mehr erfahren würde – auch über den Grund seines Dahinscheidens) eine durchaus lohnende Aufgabe gewesen und ein willkommenes Vehikel, um unser Bewusstsein in zweierlei Hinsicht zu schärfen: unsere Auseinandersetzung mit Migrantinnen und Migranten ebenso wie mit unserer Geschichte. 

Mit dieser Gedenktafel hat man beide Anliegen in den Sand gesetzt. Einfach zu vergessen.

*) Das Wiener Integrationskonferenz – Vernetzungsbüro wurde 2004 von rund 130 Einrichtungen als gemeinsame Interessensvertretung für Migrantinnenorganisationen gegründet. Seine zentralen Aufgaben sieht das Büro darin, die Zusammenarbeit von dieser Organisationen zu fördern und möchte zentrale Kontaktstelle zur Stadt Wien, zu NGO´s und weiteren Regierungsorganisationen im Bereich Migration und Integration sein. Bieten möchte man ein Forum, in dem sich MigrantInnenorganisationen ihre Meinung bilden und Synergien maximal genutzt werden können. Auch die Vertretung der Interessen und Hilfestelllung von und für Migrantinnen und Migranten gehört zu den Aufgaben. Ziel des Vernetzungsbüros ist es, durch diese Aktivitäten aufzuzeigen, dass die Migrantinnen und Migranten eine Bereicherung für die österreichische Gesellschaft sind.

Sonja Wehsely war von Juli 2004 unter Bürgermeiste Michael Häupl Stadträtin für Integration, Frauenfragen, KonsumentInnenschutz und Personal. Nach der Umbildung der Wiener Landesregierung im Jänner 2007 übernahm sie die Agenden für Gesundheit und Soziales. Am 26. Jänner 2017 trat sie zurück und zog sich aus der Politik zurück.

Alexis Neuberg, geboren in Ruanda, kam 1992 nach Österreich und studierte an der Uni Wien Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Tätig als Berater im Integrationshaus und freiberuflicher Mitarbeiter im ORF. 1997 gründete er Radio Afrika und schuf damit ein Sprachrohr für Menschen aus Afrika in Österreich. In diversen Vereinen und Organisationen präsent, war er lange Zeit Obmann des Wiener Integrationskonferenz-(WIK)-Vernetzungsbüros.

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